die innenseite von dem irren sein umkleideschränkchen
Montag, 7. Juli 2008
Schienenfahrt 03
01 | 02

"Warum kommst du eigentlich immer so spät nach Hause?"

Diese Frage. Sie ging ihm nur noch auf die Nerven. Gehen, gehen, ich muss weg hier, weg, gehen, das ist nicht mehr mein Leben, das ist nichts mehr, nichts von Bedeutung, alles was ich gefunden habe, meine Schienenfahrt, die Weiche, das ist mein Leben, das ist es, das ist alles, das hier ist nichts. Und er roch noch ihren Geruch, der an ihm haftete und er hasste diese andere Frau dafür, dass sie immer noch stoisch auf ihn wartete, dass sie hier saß und so dumm war, ihm zu vertrauen, dass sie so dumm war, sich auf ihn zu verlassen, auf ihn, der keinen Cent mehr auf sie gab, dem sie egal war, ach, würde sie doch heute ihre Koffer packen, würde sie jetzt alles beenden, ihn verlassen und endlich aus seinem Leben verschwinden.Dieser Gedanke ließ ihn sich so befreit fühlen, unendlich frei, frei für sie, frei für seine Liebe, deren wunderbarer Duft noch an ihm haftete.

"Ich gehe."

Mehr sagte er nicht und mit Entsetzen sah sie ihm ins Gesicht. Du gehst, fragte sie und Tränen standen in ihren Augen, dicke Kullertränen, die über ihr Gesicht liefen und Verzweiflung entzerrte ihr Gesicht, Wut und Angst und sie begann zu zittern. Sie schrie ihn an, sie trommelte mit Fäusten auf ihn ein, nein, nein, nein, schrie sie ihn an. Aber ihn ließ das kalt. Ich liebe dich nicht mehr, sagte er, nichts empfinde ich für dich, keine Gefühle, alles ist aufgebraucht und verschwunden und leer, meine Gefühle brauche ich nicht mehr für dich, ich brauche sie für eine andere Frau, eine die nicht so daliegt wie du, teilnahmslos und ohne Gefühle, ohne Leidenschaft und ohne Mut, nichts gibst du mir mehr, nichts und er schrie sie an und immer weiter demütigte er sie, weil es ihn so wütend machte, dass sie überhaupt noch etwas für ihn empfand, weil es ihn wütend machte, dass sie nicht froh und es endlich vorbei war. Ich gehe, sagte er und packte seine Sachen, während sie weinend in der Küche saß, auf dem alten Stuhl ihrer Großmutter, mit angezogenen Knieen, als müsste sie sich in sich selbst verkriechen, mit schmerzverzerrtem Gesicht.

Die Tür fiel laut krachend ins Schloss. Aus und vorbei, dachte er und fühlte sich gut, mit federndem Schritt lief er die Treppe hinab, er hatte eine Tasche und einen Koffer dabei, die wichtigsten Sachen, den Rest würde er später holen. Später. Hoffentlich war sie dann nicht mehr da. Hoffentlich musste er sich das nicht noch einmal antun. Hoffentlich nicht. Heute nahm er sich ein Taxi, er wollte nicht mit Koffer und Tasche in die Bahn steigen, sich mit den anderen herum plagen, er wollte für sich sein, seine Befreiung genießen, er wollte triumphierend zu ihr fahren.

Irgendwann hatte er sie mal nach Hause gebracht, bis vor die Haustür, er hatte sie im Schatten geküsst, ihr noch einmal über das Haar gestrichen, einen Klaps auf den Hintern gegeben, sie hatte sich umgedreht und gewunken, einen Handkuss zum ihm rüber geschickt und war verschwunden. In ihrem Leben. Heute würde er ihr Leben betreten. Für immer. Der Ring, dachte er kurz, aber sie hatten sich nicht darüber unterhalten und er nahm an, dass sie allein zu Hause war, er wollte sie abholen, sie an die Hand nehmen, sie durch die Gegend tragen, er wollte sie küssen und ihr sagen, dass er sie liebe, jetzt und morgen und übermorgen, für immer. Das Taxi bog in die Straße ein, in die Straße, in der sie lebte, hier und jetzt beginnt ein neues Leben, dachte er dabei, hier und jetzt fängt alles noch einmal an und während er das dachte, entdeckte er sie, er sah sie, wie sie mit einem strahlenden Lächeln die Straße entlang ging, sie hatte diesen schönen Mantel an, der ihre Figur betonte und sie trug die Haare offen und sie wehten im Wind und sie lachte und sah so glücklich aus. An ihrer Hand, ja, an ihrer Hand, an ihrer Hand ging ein Kind, wie er mit Entsetzen feststellte, ein Kind, ein Mädchen, ein Mädchen, das aussah wie sie, mit rötlichen Haaren und einem Mantel und sie sah süß aus, ein schönes Kind, sie hatte ein Kind an ihrer Hand und sie sah dabei so glücklich aus, mit dem Kind an ihrer Hand, mit dem Kind, mit dem sie die Straße entlang lief. Ohne ihn.

Er ließ das Taxi weiterfahren. Fahren Sie, brüllte er den Fahrer an, ich habe mich geirrt, in der Straße und überhaupt, fahren Sie, fahren Sie irgendwo hin, ich kann das nicht, ich kann das alles nicht. Und der Taxifahrer fuhr, aber auch er wusste nicht wohin und so fuhr er wahllos durch die Stadt und er saß hinten und rauchte mit starrem Blick, blies gedankenverloren den Rauch aus, drückte die Zigarette aus und machte sich die nächste an. Aus. Vorbei. Verloren. Das alte Leben weggeschmissen und das neue Leben eine Lüge, nichts mehr, nichts, nichts war mehr da, außer ihm und dem Koffer und der Tasche, nichts war mehr da, außer dem alten Feuerzeug und einer sich stetig leerenden Zigarettenschachtel, nichts mehr da und der Fahrer schmiss ihn raus, irgendwann schmiss er ihn einfach raus, nachdem er die Kreditkarte durchgezogen hatte, ihm war es egal, er setzte sich an den Straßenrand, alles war verloren alles war weg, weg, verloren, für immer.

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