die innenseite von dem irren sein umkleideschränkchen
Montag, 9. Juli 2007
Begegnung
Da war sie wieder, die betrunkene Frau und sie lächelte mich an. Einfach so. Wir trafen uns oft, sie auf dem Weg vom Imbiss an der Ecke nach Hause, fast jeden Abend trank sie in der vergammelten Spelunke und saß ab und zu besoffenen Pennern auf dem Schoß, ich auf dem Weg ins nichts, zielloses umherirren in der Nacht, bis ich irgendwann den Weg zurück finde und erschöpft ins Bett falle. Zum ersten Mal sah ich sie in diesem Imbiss, als ich Zigaretten holte. Sie sah traurig aus, einsam. Frauen, die traurig und einsam aussehen, ziehen mich magisch an, sie strahlen diese unglaublich anziehende Melancholie aus, die auch in mir wohnt, wie ich vermute. Später traf ich sie immer wieder auf ihrem Weg nach Hause, sie torkelte oft an mir vorbei, völlig abgeschnitten von der Welt, besoffen. Nur dieses eine Mal nicht. Sie war ganz klar und schaute mich an, sah sehr lange in meine Augen, tief, scheinbar bis auf den Grund meiner Seele und ich konnte nicht wegschauen. Ich blieb stehen und sie kam ganz nah an mich heran. Du, sagte sie, ich kenne dich. Ich sehe dich oft, wenn ich vom Imbiss nach Hause gehe. Du, sagte sie mit butterweicher Stimme und ihr Blick war unerträglich tief, du gefällst mir. Du bist genauso traurig wie ich, dabei nahm sie meine Hand und kam ganz dicht an mich heran, so dass sich unsere Nasenspitzen fast berührten. Sie roch nicht nach Alkohol, sie roch eher nach einer frischen Frühlingsnacht, kühl, aber nicht mehr kalt, wie nach einem Regenschauer. Aber, wollte ich sagen, aber ich konnte nicht, ihr Blick war zu stark, ihre Hände zu weich und sie küsste mich. Erst ganz zaghaft, leicht die Lippen berührend und mit offenen Augen, dann intensiv, mit geschlossenen Augen, sie umschloss mit ihren Lippen die meinen und ihre Zunge suchte sich ihren Weg, ich wehrte mich nicht.

Hecktisch, wild, wie ein Liebespaar, dass sich seit Wochen nicht mehr gesehen hatte, küssten wir uns, auf der Straße, im Hausflur, vor der Tür und in der Wohnung. Wir rissen uns die Kleider vom Leib und küssten uns, als hinge unser Leben von dieser einen Nacht ab, nichts war mehr da, von unserer Melancholie, nur noch Küsse, Stöhnen, Berührungen, Haut an Haut, so trieben wir es im Flur, auf der Couch, im Bett, unter der Dusche und vor dem Frühstück auf dem Küchentisch. Wunderbar. Als sie ging, hatte sie wieder diesen melancholischen Blick, sie küsste mich noch einmal, mit ihren wunderbarvollen und roten Lippen, streichelte mir über das Kinn und ging. Bis bald.

Da war sie also wieder, die betrunkene Frau und sie lächelte mich an. Ich weiß nicht, ob sie mich erkannte, sie ging torkelnd an mir vorbei, fiel dabei fast hin, so dass ich sie stützen musste, ich schaute sie an, tief in ihre Augen, die wegrollten, weil sie so betrunken war. Sie stieß mich weg und weinte, weinend torkelte sie weiter, als würde sie mich nicht kennen, mit ihren müden, traurigen, besoffenen Augen, einsam in die Nacht hinein und ich ging auf meine einsame Tour durch die dunklen Straßen.

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